Der Lügder Nils Hasse ist Schiedsrichter und pfeift mittlerweile schon in der Westfalenliga. Wir haben uns einmal mit ihm unterhalten und dabei spannende Eindrücke vom „Schiedsrichter“ – Leben erhalten.
1. Was hat dich motiviert Schiedsrichter zu werden?
Mein Bruder Jonas war jahrelang auch Schiedsrichter und hatte damals vor mir den Schiedsrichterschein gemacht. Anschließend war ich ein paar Mal bei seinen Spielen zuschauen. Dass waren unter anderem auch Bezirksligaspiele, die schon unter Beobachtung waren. Irgendwie hat mir das gut gefallen und mich interessiert. Als Klaus Meier aus Sabbenhausen, der damals noch Kreisschiedsrichterobmann war mich angesprochen hatte, habe ich nicht gezögert und gesagt wieso nicht? Einfach mal ausprobieren.
Ich persönlich finde das auch ganz amüsant, weil ja mein Bruder den Aufstieg in die Landesliga nicht geschafft hat und nicht mehr pfeift und ich jetzt schon in der Westfalenliga Schiedsrichter bin mittlerweile.
2. Wie sieht denn aktuell Dein „Arbeitseinsatz“ aus?
Seit dem 29.08. läuft in Westfalen ja wieder die Saison 21/22. Meine Woche sieht aktuell so aus, dass ich montags meine Ansetzung für das Wochenende bekomme. Entweder als Schiedsrichter in der Westfalen- oder Landesliga oder als Linienrichter in der Oberliga. Ansonsten trainiere ich montags bis freitags, (Ja, Schiedsrichter müssen auch trainieren!) ich gehe 2-3 ins Fitnessstudio. Dort mache ich aber nicht das klassische Pumpermuskeltraining. Ich trainiere dort viel Stabilität, Rumpfstabilität und Schnellkraft. Das sind Attribute, die ich auf dem Platz bei der Spielleitung am Meisten brauche.
Nebenbei trainiere ich 2-mal die Woche entweder an der Emmerkampfbahn oder gehe laufen. An der Emmerkampfbahn auf dem Sportplatz gibt es spezielle Übungen, die ich als Schiedsrichter absolvieren kann. Meistens wird da die Grundlagenausdauer und die Kondition für viele kurze Sprints hintereinander trainiert.
3. Wie kann man es schaffen, vom Kreisliga-Schiedsrichter zum Bundesliga-Schiedsrichter zu werden? Zufall? Wird man gescoutet? Muss man sich bewerben? Braucht man Beziehungen?
Vorweg, Zufall ist das sicherlich nicht. Der Weg ist einfach. Um in der Bundesliga zu pfeifen, muss ich durch jede Liga einmal durch und dementsprechend immer wieder aufsteigen. Ein Aufstieg läuft so ab:
Vor der Saison legen die Kreise und der Verband sogenannte Teams fest. In Westfalen bin ich z.B. aktuell im Team B. Das sind alle Schiedsrichter, die in der Westfalenliga pfeifen und in die Oberliga aufsteigen möchten. Bei mir im Team sind im Moment ca. 25 schiedsrichter. Diese Schiedsrichter bekommen in der Saison mindestens 8 Westfalenligaspiele, bei denen sie beobachtet und bewertet werden.
Dazu kommt zu meinen Spielen immer ein Schiedsrichterbeobachter. Das sind entweder ehemalige Schiedsrichter, die mal mindestens die gleiche Klasse gepfiffen haben oder noch aktive Schiedsrichter, die höher pfeifen.
Der schaut sich dann nur mich an. Anhand verschiedener Bewertungskriterien bekomme ich dann eine Note für das Spiel. Die Schiedsrichter mit den besten Notendurchschnitten steigen am Ende der Saison auf.
Die Bewertungskriterien sind
- Regelanwendung, Regelauslegung, Spielkontrolle, taktisches Verhalten
- Disziplinarkontrolle/ Anzahl der persönlichen Strafen
- Persönlichkeit, Körpersprache, Umgang mit den Spielern und Offiziellen (Bank)
- Körperliche Verfassung und Stellungsspiel
- Zusammenarbeit mit den Schiedsrichter-Assistenten
4. Wie stehst du zur Altersgrenze der Bundesliga-Schiedsrichter, Stichwort Manuel Gräfe?
Ich halte die Altersgrenze für Schiedsrichter falsch. Meiner Meinung nach sollten Schiedsrichter solange pfeifen dürfen, bis entweder die Leistung in der Saison nicht mehr stimmt oder sie den Lauftest nicht bestehen. Ich kann das Argument verstehen, dass man sagt: Ja gut, aber dann kommen ja kaum neue junge Leute nach.
Dann sollte man vielleicht überlegen, ob man in der 1-3- Liga auch mit Absteigern arbeitet, die gibt es nämlich aktuell noch nicht.
5. Schiedsrichter werden laufend kritisiert. Wie gehst du damit um? Wird in der Ausbildung auf diese psychologische Komponente eingegangen?
Bei meinen Spielen werde ich natürlich häufiger kritisiert und auch nicht selten von den Zuschauern heftig beleidigt. Ich gehe damit so um, dass ich mir bewusstmache, dass diese Kritik und diese Beleidigungen ja nicht gegen mich als Persönlichkeit gehen, sondern vielmehr meine Rolle als Schiedsrichter betreffen.
Nichtsdestotrotz möchte ich das nicht schönreden. Ich höre immer von überall, ja aber die Emotionen gehören doch zum Fußball, das ist doch normal, das muss vielleicht sogar so sein.
Dem möchte ich vehement wiedersprechen. Ich habe das Gefühl, manche Leute sehen Emotionen als Totschlagargument oder als Freifahrtsschein jetzt alles auf dem Sportplatz machen zu dürfen, was sie wollen.
Natürlich möchte ich auch Emotionen beim Fußball haben. Aber Emotionen für das Spiel und nicht gegen einzelne Personen oder Entscheidungen. Ich ziehe da immer gerne den Vergleich zu anderen Sportarten. Beim Handball müssen Spieler nach einer Entscheidung gegen Sie sofort den Ball auf den Boden legen, damit das Spiel weitergehen kann. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Dies ist leider im Fußball undenkbar. Wieso eigentlich? Müssen sich alle Fußballer und Trainer und Zuschauer mal Gedanke machen.
6. Gab es eine große Fehlentscheidung, die Du getroffen hast, die dich noch länger beschäftigt hat?
Das Gute ist ja in meinen Spielklassen: Es gibt dort keine Kameras oder Wiederholungen im TV. Das bedeutet, die meisten Fehler von mir würden entweder nicht auffallen oder könnten nicht nachgewiesen werden. Wobei das dann leider auch andersherum gilt. Wenn ich vielleicht mal eine strittige Entscheidung hatte, wissen die Leute nie, ob ich wirklich recht hatte.
Große Fehlentscheidungen habe ich auch schon gemacht. Die beschäftigen mich aber nicht allzu lange. Das dauert meistens bis montags oder dienstags an. Dann lese ich nochmal die Zeitungs- oder Onlineberichte, wo nochmal von den Medien über mich hergezogen wird. Dann wars das aber auch. Ich versuche dann meine Lehren aus dem Fehler zu ziehen und für mich selber zu analysieren, was ich in Zukunft besser machen kann, um den Fehler in Zukunft zu verhindern (Muss ich mein Stellungsspiel anpassen z.B.?).
7. Wie stehst du zum Videobeweis?
Meiner Meinung nach macht der Videobeweis den Fußball gerechter und stellt besonders für die Schiedsrichter eine enorme Hilfe dar.
Aus der Sicht des Schiedsrichters nimmt der Videobeweis wahnsinnig viel Druck vom Unparteiischen weg. Man muss sich das so vorstellen, in der Bundesliga geht es bei jedem Spiel um sehr viel Geld. Jede Entscheidung des Schiedsrichters kann starke Auswirkungen haben. Ist ja klar dass die Männer und Frauen, die dort auf dem Platz stehen, einen enormen Druck verspüren. Wenn ich aber weiß, so richtig krasse Fehler können mir durch den Videobeweis nicht passieren, ist man schon mal deutlicher entspannter im Spiel.
Ich kann jedoch auch die Fans und Zuschauer nachvollziehen, die es nervt nach einem Tor noch warten zu müssen, ob der Treffer nicht doch wieder zurückgenommen wird.
8. Wer ist dein Schiedsrichter – Vorbild? Warum?
So ein richtiges Vorbild, wie man das bei Fußballspielern kennt, habe ich nicht. Es gibt referees die ich besonders cool finde und dich mich von der Art her auf dem Platz so überzeugen, dass ich mir gerne was abschaue. Dazu gehören Schiedsrichter wie z.B. Harm Osmers oder Deniz Aytekin. Manuel Gräfe und Björn Kuipers fand ich auch immer cool, aber die haben ja jetzt leider aufgehört.
Am Ende hat jeder Schiri so ein bisschen seinen eigenen Style, der ihn ausmacht. Das werde ich auch so beibehalten. Ich bleibe meiner eigenen Linie treu, weil ich genau damit ja schon ziemlich weit gekommen bin.
9. Wie kannst du junge Leute begeistern, auch Schiedsrichter zu werden?
Ich kann nur immer wieder sämtliche Vorteile aufzählen, die es mit sich bringt Schiedsrichter zu sein. Als Jugendlicher habe ich natürlich den finanziellen Aspekt. Zusätzlich zu meinem Taschengeld verdiene ich mir noch etwas dazu.
Dann habe ich mit meinem Schiedsrichterausweis freien Zutritt zu allen Stadien in Deutschland. Ich schaue mir regelmäßig umsonst Bundesligaspiele in Dortmund, Mönchengladbach oder Bielefeld an.
Das wichtigste ist jedoch: Durch die Tätigkeit als Schiedsrichter gewinnt man enormes Selbstbewusstsein, enorme Kritik- und Analysefähigkeit. Arbeitgeber werden jetzt denken:
Das sind doch alles Eigenschaften, die ich von meinem Arbeitnehmer gerne hätte.
Und so ist es auch. Der Nebenberuf als Schiedsrichter bringt mich in meiner beruflichen Karriere wahnsinnig weit nach vorne. Als Schiedsrichter habe ich jedes Wochenende mit verschiedenen Menschen und Charakteren zu tun. Ich musste lerne mit denen umzugehen. Das hilft mir dann auch im Berufsalltag.